Fuchsia: Googler tritt auf die Bremse – ist Googles neue Betriebssystem nur ein großes Experiment?

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Seit weit über einem Jahr gibt es viele Informationen rund um Fuchsia und in den vergangenen Wochen gab es immer mehr Hinweise darauf, dass Google das neue Betriebssystem endlich der Öffentlichkeit präsentieren wird. Doch nun ist nicht nur die Google I/O-Woche zu Ende gegangen, sondern ein hochrangiger Manager hat dem Betriebssystem auch noch praktisch öffentlich eine Absage erteilt. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass Fuchsia gestorben ist – sondern eigentlich genau das Gegenteil.


Im gesamten vergangenen Jahr sickerten immer mehr Informationen rund um Googles neues Betriebssystem durch und nach dem langen Anheizer stieg die Spannung in den letzten Wochen bis über den Siedepunkt. Und dann macht Google das Feuer aus. Während der gesamten Google I/O ist nicht einmal das Wörtchen „Fuchsia“ gefallen, es wurde lediglich einmal in einem Blogpost nebensächlich erwähnt, aber an diesen Strohhalm kann man sich nicht klammern.

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Fuchsia schwebt seit vielen Monaten wie ein Gespenst über Googles Betriebssystemen, denn obwohl dessen Existenz seit langer Zeit bestätigt ist, redet das Unternehmen nicht darüber und hüllt sich in vollständiges Schweigen. Dennoch glauben viele Menschen zu wissen, dass Fuchsia sowohl Android als auch Chrome OS ablösen könnte und das planmäßig auch irgendwann – eher früher als später – tun wird. Das hat sich bisher eher als Luftnummer erwiesen, denn vor allem Android feiert aktuell ein großes Comeback und ist lebendiger denn je. Das war auch schon einmal anders.

Da sich Google offiziell nicht geäußert hat, wurde Android- und Chrome OS-Chef Hiroshi Lockheimer ganz konkret darauf angesprochen und hatte Folgendes zu verkünden:

Google has many projects under way. We’re a technology company, so we invest in various technologies and experiments and so on. And some of those experiments and investments, we do in the public as open source projects. Fuchsia is one of them.

So, naturally, a lot of people assume, “It’s a new OS from Google, so it must be the future. The one OS from Google,” you know. That’s not how we look at it. We look at it as sort of a place where we can try out new ideas.

It’s not just phones and PCs. In the world of IoT, there are increasing number of devices that require operating systems and new runtimes and so on. I think there’s a lot of room for multiple operating systems with different strengths and specializations. Fuchsia is one of those things and so, stay tuned.

Das Statement liest sich so, als wenn sich Google einen Spaß daraus macht, dass die halbe Tech-Welt auf ein neues Betriebssystem wartet, das es eigentlich gar nicht gibt. Ist das ganze Projekt also tatsächlich eine Luftnummer und war nie dafür gedacht, das Licht der Welt zu erblicken? Am Ende heißt es sogar „Wir genießen die Faszination, die Sie um Fuchsia machen. Aber es ist in Wahrheit gar nicht so faszinierend„. Das klingt danach, die überzogene Erwartungshaltung – die ohnehin nicht erfüllt werden kann – senken zu wollen.



Dementi = Bestätigung
Als Erstes muss man wissen, dass ein schwammiges Dementi eines Google-Managers rückblickend häufig auch als Bestätigung gewertet werden konnte. Aber allein an das Prinzip Hoffnung muss man sich gar nicht klammern, denn die vergangenen Monate haben uns gezeigt, dass Fuchsia keinesfalls nur ein internes Testprojekt ist, an dem man immer wieder mal neue Konzepte ausprobieren möchte. Das ist vielleicht ein netter Nebeneffekt, kann aber nicht die Motivation hinter dem gesamten Projekt sein.

Der Aufwand ist zu groß
Da Fuchsia zu großen Teilen offen entwickelt wird und der Sourcecode öffentlich zugänglich ist, zeigt sich, dass mittlerweile ein sehr großes Team an dem Betriebssystem arbeitet – und zwar kontinuierlich. Für eine reine Spielwiese ist der Aufwand deutlich zu groß, muss keine Kompatibilität zu den anderen Plattformen hergestellt werden und muss erst recht keine neue nutzerfreundliche Oberfläche entworfen werden.

Als Nächstes wirft sich die Frage auf, wozu all die neuen Konzepte benötigt werden, die das Unternehmen ausprobiert und dann sowieso nicht zu Android oder Chrome OS bringen kann? Und warum wird diese Forschung auch noch öffentlich betrieben, sodass sich die Konkurrenz die Hände reiben und die Konzepte selbst übernehmen könnte? Das ist kaum nachvollziehbar und passt nicht in die strenge Geheimhaltung, die große Unternehmen normalerweise betreiben – gerade wenn es um die Entwicklung von wichtigen Plattformen geht.

Zwischen den Zeilen lesen
Lockheimer spricht nur davon, dass Fuchsia nicht „das eine Betriebssystem von Google“ ist und bezieht sich darauf, dass sowohl Android als auch Chrome OS ersetzt werden. Eines von beiden könnte also schon ersetzt werden bzw. es kann für einen gewissen Zeitraum auch eine Koexistenz geben. Da Google auf vielen Plattformen unterwegs ist, ist durchaus auch Platz für weitere Betriebssystem, denn Android und Chrome OS können nicht alle Bereiche abdecken.

Gerade das Intenet of Things und die immer smartere Hardware benötigt eigene Betriebssysteme, bei denen die Embedded-Lösungen nicht mehr ausreichen. Und da sind wir wieder bei den Wurzeln von Fuchsia, denn als 2017 die ersten Informationen zu der Plattform durchsickerten, war noch von einem IoT-Betriebssystem die Rede. Der Schwenk hin zum Android- und Chrome-Konkurrenten kam erst damit, als das Betriebssystem plötzlich eine Nutzeroberfläche hatte, die auf Laptops und Smartphones nutzbar war.

Zu guter Letzt endet selbst Hiroshi Lockheimer sein Statement mit „stay tuned“. Aber worauf sollen wir denn warten, wenn Fuchsia gar nicht erscheinen soll? Wenn man das gesamte Statement nun noch einmal liest, geht eigentlich nur hervor, dass Fuchsia JETZT noch nicht erscheinen wird – denn offenbar ist das Betriebssystem noch nicht dafür bereit, der Öffentlichkeit präsentiert zu werden. Damit muss man auch keine Eile haben, da die Entwickler ja dank Flutter bereits zahlreich aufgesprungen sind.



Lockheimers Position im Unternehmen ist übrigens Produktmanager für Android und Chrome OS. Wer Googles Strategie etwas zu durchschauen versucht wird aber auch feststellen, dass man gerne mal mehrere Produkte für den gleichen Zweck auf den Markt hat und auch Alphabet-CEO Larry Page ist ein großer Freund von internen Konkurrenzkämpfen. Was, wenn Lockheimer selbst nicht vollständig über Fuchsia und die Pläne des Unternehmens informiert ist? Ist zwar eine wilde These, aber darf nicht außer Acht gelassen werden.

Natürlich steht auch weiterhin die These im Raum, die in der Vergangenheit immer wahrscheinlicher wurde, dass Fuchsia selbst niemals als eigenständiges Produkt erscheint, sondern als Unterbau für die bestehenden Betriebssysteme genutzt werden kann. Fuchsia könnte also als Android R erscheinen, ohne dass der Endnutzer es überhaupt bemerkt. Neue Features und veränderte Oberflächen gibt es ohnehin jedes Jahr und die Marke Android scheint wieder – warum also aufgeben?

Es geht weiter wie bisher
Das Momentum scheint aktuell nicht auf Fuchsias Seite zu sein, aber dennoch ändert sich nichts am Status des Projekts. Es nun totzusagen, wie es einige Medien derzeit tun, ist nicht nur völlig verfrüht, sondern auch komplett aus der Luft gegriffen. Google wird das Betriebssystem weiterentwickeln, daraus lernen und es irgendwann auch einmal veröffentlichen – vielleicht nicht unter dem bekannten Namen, vielleicht auch in anderer Form, aber ein solches Riesenprojekt geht man nicht ohne Grund an.

Wir werden die Entwicklung von Fuchsia hier im Blog natürlich weiter begleiten und auch immer wieder mal den Stand des Projekts analysieren und einordnen. Schaut gerne alle vergangenen Artikel unter dem Schlagwort Fuchsia an und macht euch etwas über das Betriebssystem schlau. Abgesagt ist es noch lange nicht und auch das Jahr 2019 ist noch lang und könnte uns vielleicht doch noch die eine oder andere offizielle Erwähnung des Projekts bringen.

» Fuchsia steht in den Startlöchern: Alle Informationen rund um Googles neues Betriebssystem

Siehe auch
» Android ist noch längst nicht am Ende: Die Plattform hat wieder Priorität und feiert ein großes Comeback

» Google I/O 2019: Die wichtigsten Ankündigungen und neuen Produkte aus der Keynote im Überblick

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comment 6 Kommentare zum Thema "Fuchsia: Googler tritt auf die Bremse – ist Googles neue Betriebssystem nur ein großes Experiment?"

  • “ Fuchsia könnte also als Android R erscheinen, ohne dass der Endnutzer es überhaupt bemerkt. Neue Features und veränderte Oberflächen gibt es ohnehin jedes Jahr und die Marke Android scheint wieder – warum also aufgeben?“
    Das wird nicht passieren, denn das käme einem OS Austausch on the fly gleich und geht ganz sicher in die Hose, da hier nicht nur der bisherige Linux-Kernel gegen einen Microkernel ausgetauscht werden müsste, sondern auch Java dann vom Gerät geputzt würde. Man wechselt bei einem Auto ja auch nicht unterwegs den Motor aus, ohne dass dann nichts mehr läuft. Selbst der Wechsel von Dateisystemen war in der Vergangenheit bei anderen Systemen immer mit Problemen verbunden. Fuchsia ist vielleicht tatsächlich erstmal nur eine Designstudie oder es geht darum, dass der Streit um Java ein Ende haben soll und man ein zweites OS in der HInterhand haben will, sollten Richter in den USA absurd hohe Bußgelder verhängen. Wenn, dann wird Fuchsia eine neue Generation einläuten und auch auf Geräten laufen, die wenig Ressourcen benötigen, was eine viel größere Reichweite ermöglichen würde. Alles rein spekulativ, aber wenn, dann sehe ich das eher so, wie beschrieben.

    • OFFTOPIC: @ALter Sack: Hast Du die Einladung für OpenBook gesehen? Wollte nur kurz daran erinnern, falls es unter gegangen wäre! Gruss

    • Ich glaube dass Fuchsia eher wie ein Hypervisor oder ein Bootloader als untere Ebene in Android und ChromeOS eingezogen wird. Dann merkt man erst mal wenig davon, Google kann aber die Security anziehen.
      Schritt für Schritt werden dann die Treiber im Sinne eines Rumpkernels refaktoriert oder ersetzt und es wird einen nativen Anteil geben der auf einem kleinen Device sofort läuft.
      Der Vorteil für die Entwickler wird sein dass sie Applikationen kleiner und schneller machen können wenn sie wollen, sie müssen sie bloss nach Dart/Flutter portieren (was eh keine dumme Idee ist).

  • Ich glaube dass Fuchsia eher wie ein Hypervisor oder ein Bootloader als untere Ebene in Android und ChromeOS eingezogen wird. Dann merkt man erst mal wenig davon, Google kann aber die Security anziehen.
    Schritt für Schritt werden dann die Treiber im Sinne eines Rumpkernels refaktoriert oder ersetzt und es wird einen nativen Anteil geben der auf einem kleinen Device sofort läuft.
    Der Vorteil für die Entwickler wird sein dass sie Applikationen kleiner und schneller machen können wenn sie wollen, sie müssen sie bloss nach Dart/Flutter portieren (was eh keine dumme Idee ist).

    • @Klaus Ries
      Das ist auch meine Vermutung, aber ich gehe noch einen Schritt weiter und sehe eine komplette Abkehr von Java, was das derzeitige Android komplett obsolet machen würde, da Java überall zu finden ist.

Kommentare sind geschlossen.