Stadia: Notbremse & Strategiewechsel – die Zukunft von Googles Spiele-Ambitionen liegt offenbar in der Cloud

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Die Spieleplattform Stadia ist eines der jüngsten Google-Produkte, steht aber offensichtlich vor einem großen Strategiewechsel, dessen erster Schritt mit der bereits verkündeten Schliessung der Games Studios eingeleitet wurde. Nun zeichnet sich ab, dass Stadia als Plattform in den Hintergrund rücken könnte und Google die große Zukunft in der technischen Infrastruktur sieht, die man über mehrere Jahre für Stadia aufgebaut hat.


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Müsste man ein Fazit nach bald eineinhalb Jahren ziehen, fällt es für Stadia nicht gut aus: Zwar gibt es eine große Anzahl begeisterter Spieler, aber deren Anzahl liegt weit unter Googles Erwartungen. Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass Stadia Hunderttausende Spieler weniger als erwartet hat und Google Dutzende Millionen Dollar für die Portierung großer Spieletitel auf Stadia ausgegeben hat. Bislang hat sich das nicht ausgezahlt.

Natürlich muss man beim Aufbau eines neuen Ökosystems sehr viel Geduld haben und Durchhaltevermögen beweisen – aber darin war Google noch nie wirklich gut. Wenn es nicht läuft, muss ein Strategiewechsel oder ein Neustart her. Dass das auch bei Stadia nicht anders ist, wurde durch die meiner Meinung nach völlig überstürzte Schliessung der Games Studios deutlich. Statt die Millionen in die großen Spieletitel zu pumpen und eine Me-Too-Plattform aufzubauen, hätte sicher auch der eine andere Exklusivtitel aus eigenem Hause nicht geschadet, der die vielleicht einzigartigen Technologien von Stadia voll ausnutzt. Aber dazu wird es vorerst nicht kommen. Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass auch dem verheißungsvollen Project Hailstorm der Stecker gezogen wurde.

Wenn man Googles Strategien über die Jahre verfolgt hat, dann wird sehr schnell deutlich, warum viele Beobachter eine baldige Einstellung der Spieleplattform erwarten. Ich zähle mich auch ein wenig dazu, denke aber in eine ganz andere Richtung: Das Stadia-Geschäft dürfte schon bald vollkommen anders aussehen und die heute bekannte Spieleplattform nur ein kleiner Teil davon sein.




Stadia wird zum Infrastruktur-Angebot
Google ist experimentierfreudig, schmeißt gerne neue Produkte auf den Markt und evaluiert nach einigen Monaten, was erfolgreich ist und was nicht. Bei Stadia sieht das ein bisschen anders aus, denn hier handelt es sich nicht nur um eine Software oder Plattform, sondern um sehr große Investitionen in die Infrastruktur. Schon bei der ersten Ankündigung wurde betont, dass man Stadia als sehr langfristiges Projekt sieht, an dem im Hintergrund seit Jahren gearbeitet wird. So etwas wirft man, trotz weit verfehlter Ziele nicht über Nacht weg.

Ich gehe davon aus, dass Google nicht mehr nur das Endprodukt Stadia, sondern vor allem die Infrastruktur dahinter als Geschäftsmodell sieht. Man wird Spieleentwicklern bzw. Publishern die Möglichkeit geben, ihre Spiele direkt über die Cloud zu vertreiben und dort zu spielen. Google wird dabei in den Hintergrund rücken und die technischen Dienste anbieten, die dem Endnutzer normalerweise verborgen bleiben – so wie AWS, Microsoft Azure oder eben die Google Cloud.

Man könnte sich das nach dem Android-Modell vorstellen: Die Stadia-Infrastruktur wird zu Android und die Spieleplattform Stadia sind die Pixel-Smartphones. Googles Smartphones sind global im Vergleich zu anderen Herstellern ebenfalls „erfolglos“ (in Anführungszeichen!), aber Android eine starke und gesunde Plattform, deren Möglichkeiten unter anderem von den Smartphones vorangetrieben wird. Das Produkt Stadia könnte somit weiter betrieben werden und einfach die darunterliegende Stadia-Infrastruktur nutzen, promoten und vielleicht durch eigene Ambitionen voranbringen – so wie man es ehemals mit den Nexus- und Pixel-Smartphones bei Android getan hat.

Google hat das zwischen den Zeilen bereits angekündigt
Dass ich mir das nicht nur ausdenke, zeigt sich an der offiziellen Ankündigung zum Games Studio-Aus. Dort steht schon im Titel „Stadia’s future as a platform“. Im Text, der sich an Endnutzer richtet, wird praktisch nur von „Partnern“ gesprochen, während die „Spiele“ keine große Rolle spielen. Deutlich wir das vor allem in den folgenden Sätzen, die ich hier einfach mal mehr oder weniger zusammenhanglos zitieren möchte:

It’s clear that Stadia’s technology has been proven and works at scale. Having games streamed to any screen is the future of this industry, and we’ll continue to invest in Stadia and its underlying platform to provide the best cloud gaming experience for our partners and the gaming community.




we’re expanding our efforts to help game developers and publishers take advantage of our platform technology and deliver games directly to their players. We see an important opportunity to work with partners seeking a gaming solution all built on Stadia’s advanced technical infrastructure and platform tools. We believe this is the best path to building Stadia into a long-term, sustainable business that helps grow the industry.

We’re committed to the future of cloud gaming, and will continue to do our part to drive this industry forward.

Stadia war demnach einfach nur das Demo-Produkt, das die Stärke der Infrastruktur zeigen soll, die von Entwicklern und Publishern zukünftig verwendet werden kann. Dieses Produkt muss natürlich nicht eingestellt werden, damit würde sich Google auch wenig Freunde machen, aber es spielt in der Großen und Ganzen Strategie dann eben keine große Rolle mehr. Vielleicht wird Stadia dadurch eines Tages wachsen, aber der Fokus dürfte dauerhaft eher auf dem Cloud-Business liegen.

Und damit würde Stadia dann auch endlich zu Googles Kerngeschäft passen. Über zwei Jahrzehnte waren Google und Spiele zwei völlig getrennte Welten. Zwar gab es immer wieder mal witzige Casual-Spiele im Rahmen von Doodles, Eastereggs oder Promos, aber grundsätzlich sind Spiele nicht unbedingt das, was zu Google passt. Schon von Beginn an hatte man darauf wert gelegt, die jahrelangen Vorbereitungen innerhalb der Google Cloud zu betonen, die man für Stadia durchgeführt hat. Und damit schließt sich der Kreis, dass man von einem „sehr langfristigen Projekt“ spricht und kein geringerer als der CEO selbst das Produkt damals im Rahmen mehrerer großer Events angekündigt hat.

Diese neue Strategie, die in aller Deutlichkeit bisher nicht verkündet wurde, erklärt dann auch einige Entwicklungen der letzten Wochen. Dass man für große Titel viel Geld ausgibt soll wohl auch zeigen, wie leicht sich Spiele zu Stadia portieren lassen. Alles nur Werbung für die kommende Plattform. Das muss nichts Schlechtes sein und grundlegend kann man als Endnutzer darauf hoffen, dass die Spieleplattform trotz möglicherweise langfristig überschaubarer Spielerzahlen weiterhin bestehen bleibt.

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