Google Clips: Daran ist die smarte Kamera gescheitert – offensichtliche Probleme mit einer absurden Lösung

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Google versucht sich manchmal an neuen Produktkategorien und hatte im Zuge dessen im Jahr 2018 die smarte Kamera Google Clips vorgestellt. Mit dieser wollte man wohl die eigenen Fähigkeiten im Kamera- und KI-Bereich unterstreichen, doch leider wurde das Entwicklerteam offenbar selbst auf einem Auge blind, denn man fuhr das Produkt mit Vollgas gegen die Wand. Jetzt hat ein damals beteiligter Entwickler verraten, was schiefgelaufen ist.


google clips cover

Google zeigt sich nicht nur im Softwarebereich experimentierfreudig, sondern auch in puncto Hardware geht man manchmal neue Wege. 2018 hatte man die smarte Kamera Google Clips vorgestellt, deren Grundidee vielleicht gar nicht so schlecht war: Die Kamera wurde einfach an beliebiger Stelle platziert und nahm selbst Fotos auf. Immer dann, wenn sie ein interessantes Motiv vor die Linse bekam. Oder zumindest dann, wenn die KI das Motiv als interessant einstufte.

Die Grundidee war nachvollziehbar: Googles Algorithmen hatte sowohl auf den Pixel-Smartphones als auch mit Google Fotos immer wieder unter Beweis gestellt, aus einer Reihe von Motiven die besten auszuwählen. Vor allem die Google Fotos-Highlights und automatischen Kreationen begeistern damals wie heute und zeigen, dass sich so etwas per KI automatisieren lässt. Also die Idee: Die Kamera nimmt einfach nur interessante Motive auf und sorgt dafür, dass all die „schlechten Fotos“ gar nicht erst existieren. Kein Wunder, dass das Projekt begeistert aufgenommen wurde, doch schnell zeigten sich die Probleme.

Das Produkt kam in Deutschland niemals offiziell auf den Markt und die Produktion wurde recht schnell wieder eingestellt. Ähnlich wie Google Glass war es allerdings ein Scheitern mit Ansage, denn man musste schon damals über die Schwächen Bescheid gewusst haben und hat es dennoch auf den Markt gebracht. Hier findet ihr einige interessante Aussagen eines damals beteiligten Entwicklers. Es gilt die gleiche Devise wie bei unserem letztwöchigen Artikel über das Scheitern von Google Glass.




Ihr seht schon, selbst in der Kritik wird die Idee als großartig beschrieben – was sie ja grundsätzlich auch ist. Blenden wir da einfach mal jegliche Datenschutzbedenken aus. Und was soll man sagen: Die Technologie hat sehr gut funktioniert, aber es gab einen entscheidenden Schwachpunkt. Der Blickwinkel. Weil die meisten Menschen die Kamera auf dem Tisch platziert und dann entsprechend nach oben ausgerichtet haben, waren die Fotos nicht wirklich ansehnlich. Und das wusste man im Team schon weit vor der Markteinführung.

Es ist wohl die Psyche des Menschen, die uns nur Bilder aus waagerechter Perspektive als wirklich schön empfinden lässt. Also Bilder auf Augenhöhe, und sei es die Augenhöhe eines Kindes. Aber das von unten nach oben fotografieren ist bekanntlich nicht ganz so schön. Das ist übrigens mit ein Grund, warum Videotelefonie oder Webcam-Chats ein merkwürdiges Bild liefern. Im Team kannte man diese Schwäche und wollte sie durch eine fast schon absurde Idee beheben.

Die Idee: Die Kamera bleibt wo sie ist und die Algorithmen sollen mehr zu tun bekommen. Man wollte den Winkel des fertigen Fotos automatisch verschieben und die Kamera praktisch im Nachhinein nach oben heben. Wohl vergleichbar mit dem, was Google seit kurzer Zeit mit den Cinematic Photos tut, aber in dieser Größenordnung war das nicht umsetzbar und wäre es auch heute noch nicht. Es fehlen einfach zu viele Informationen, um die Kamera mal eben nachträglich um einen halben Meter oder mehr anzuheben.

Also kam man auf die simplere Idee, eine Reihe von Standfüßen oder Stativen zu entwickeln, damit die Kamera mehr auf Augenhöhe ist. Warum das nicht funktioniert hat oder diese nicht auf den Markt kamen, wird allerdings nicht verraten. In der praktischen Umsetzung wäre es wohl DIE Lösung gewesen. Anders gedacht ist es aber eine Kamera auf Augenhöhe, die auch allen Menschen wieder auffällt und für eine unnatürliche Beobachtungs-Situation sorgt. Ähnlich wie die Kamera in Google Glass.




Obwohl man über dieses massive Grundproblem Bescheid wusste, hat man das Produkt auf den Markt gebracht und wollte die Schwäche mit allerlei Software-Features ausgleichen. Das hat aber nicht viel gebracht, sodass man das Produkt sehr schnell wieder vom Markt genommen hat. Es zeigt sich einmal mehr, dass die Kultur in diesen Teams wohl keine Fehler zuließ. Entweder hat man sich nicht getraut, Probleme anzusprechen oder man hatte die rosarote Brille für das eigene Produkt so fest auf der Nase, dass man dachte, auch die Endnutzer werden das alles ignorieren können.

Solch eine Kultur gibt es natürlich nicht nur bei Google, sondern in vielen größeren und mittleren Unternehmen. Kleine Unternehmen können an so etwas zugrunde gehen, bei mittleren Unternehmen ist es sehr ärgerlich und bei großen kann man es schnell und ohne größere Folgen wieder vergessen. Für uns als Außenstehend ist es interessant, wie sich so etwas entwickelt und wie viele Probleme schon bekannt sind, bevor ein Produkt auf den Markt kommt und dass man den Release dennoch durchzieht.

Einen ähnlichen Bericht, interessanterweise vom gleichen Entwickler, haben wir euch vor wenigen Tagen am Beispiel des Scheitern von Google Glass gezeigt.




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