Google Maps Streetview: Frühere Verpixelungen wurden entfernt – müssen erneut beantragt werden (Interview)

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Gefühlt unter Ausschluss der Öffentlichkeit ist im vergangenen Jahr Google Maps Streetview nach eineinhalb Jahrzehnten Pause wieder in Deutschland gestartet. Anders als beim ersten Anlauf, wo es eine regelrechte Panik vor der Veröffentlichung der Aufnahmen gab, lief es diesmal sehr ruhig ab. Nach Ansicht eines Datenschutzbeauftragten wohl zu ruhig, der die Nutzer an die Verpixelung erinnern will.


google maps streetview logo

Als Google Maps Streetview das erste Mal in Deutschland gestartet ist, gingen bei Google mehrere Millionen Widersprüche ein, die zur Verpixelung ganzer Straßenzüge geführt haben. Streetview war daher in Deutschland kaum benutzbar und wurde aus nachvollziehbaren Gründen von Google vollständig gestoppt – für ganze 15 Jahre. Im vergangenen Jahr gab es dann das Comeback in Deutschland und diesmal gingen wohl „nur“ 100.000 Anträge zur Verpixelung ein.

Diese Anzahl überrascht einen Datenschutzbeauftragten, der in einem Interview daran erinnert, dass alle früher angeforderten Verpixelungen keine Gültigkeit mehr haben und die Widersprüche somit erneuert werden müssen. Entweder haben es sich viele Menschen anders überlegt, die Häuser haben die Besitzer gewechselt oder viele wissen einfach gar nichts mehr davon. Daher auch meine Aussage, dass Streetview mehr oder weniger geräuschlos zurück-gestartet ist.

Ich hatte bereits über die Aussagen des Datenschutzbeauftragten berichtet und der Vollständigkeit Halber gibt es jetzt hier das gesamte Interview, das als Pressemitteilung veröffentlicht und daher hier in voller Länger veröffentlicht werden kann.




Barbara Ferrarese (BF): Viele von uns nutzen Google Street View, einen kostenlosen Online-Dienst, über den wir Straßen, Gebäude und deren Umgebung online betrachten können. Das ist einerseits praktisch, denn so können wir zum Beispiel eine potenzielle Ferienwohnung vom heimischen Sofa aus in Augenschein nehmen. Andererseits können Privathäuser nun – auch dank fortgeschrittener Technologie – leicht ausgespäht und das Wissen für Einbrüche genutzt werden. Google Street View wirbt damit, das anzubieten, was sich laut einer von Google in Auftrag gegebenen Studie 91% der Befragten hierzulande wünschen. Handelt Google quasi in öffentlichem Interesse?

Alexander Roßnagel (AR): Nein, Google handelt nicht im öffentlichen Interesse, sondern im eigenen Geschäftsinteresse. Nicht jeder, der ein Produkt anbietet, das nachgefragt wird, handelt im Interesse der Allgemeinheit. Für viele, die sich für eine Mietwohnung interessieren, die etwas anliefern müssen oder die einfach nur sehen wollen, wer, wie und in welcher Umgebung wohnt, kann ein solcher Online-Kartendienst helfen. Aber nicht alle haben gute Absichten, wenn sie sich online für ein Haus oder eine Wohnung interessieren. Die Abbildung von Haus, Wohnung, Garten und Umgebung erlaubt Rückschlüsse auf Ausstattung, finanzielle Verhältnisse, soziales Niveau und städtebauliche Einbindung, Infrastruktur, wirtschaftlichen Wert, Zugänglichkeit, Diebstahlsmöglichkeiten und vieles mehr. Daher ist es auch nachvollziehbar, dass diese öffentliche, weltweit zugängliche Präsentation des eigenen Heims nicht allen recht ist, die dort leben und die Wohnung oder das Haus als ihren Rückzugsort ansehen. Wir dürfen nicht nur diejenigen sehen, die ihr Informationsinteresse befriedigen, sondern müssen auch auf diejenige Rücksicht nehmen, die sich gegen die Ausspähung ihres Lebensmittelpunktes wehren.

BF: Auch dieser Google-Dienst ist – ebenso wie die berühmte Suchmaschine – kostenlos, obwohl ja die Kamerafahrten, die die Bilder produzieren, auch Kosten verursachen. Warum rechnet sich das für Google?

AR: Google ist ein kommerzielles Unternehmen, das auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist. Die Nutzenden zahlen nicht mit Geld, aber mit Informationen über ihre Subjektivität, z.B. über ihre Interessen und ihre Verhaltensweisen. Google erfasst während der Nutzung von Street View alle Nutzerdaten, führt diese mit Daten aus anderen Google-Diensten zusammen und erstellt aus den Daten Persönlichkeitsprofile. Diese nutzt Google dann für unterschiedliche Zwecke, insbesondere aber für individualisierte Werbung, und erzielt dadurch enorme Gewinne.

BF: Google Street View hatte im vergangenen Sommer damit begonnen, in Deutschland neue Aufnahmen von Gebäuden und Straßen anfertigen lassen. Kurz darauf haben Sie als Beauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit in Hessen wie auch Ihre Kollegen in den anderen Bundesländern darauf hingewiesen, dass man von seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung Gebrauch machen und als Betroffener Widerspruch gegen die von Google Street View erfolgten Aufnahmen einlegen kann. Warum sollte man denn Widerspruch einlegen? Und ist das nicht egoistisch – und das Gegenteil von Datenaltruismus, der doch zum Teil so vehement gefordert wird?

AR: Unter Datenaltruismus versteht man nicht, Daten weltweit agierenden Großkonzernen anzubieten, damit diese ihre Informationsmacht noch weiter ausbauen und ihr Wissen über die erfassten Menschen ausnutzen können. Es geht um die Möglichkeit, sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, wie es in der europäischen Grundrechtecharta und im deutschen Grundgesetz verbürgt ist, ausüben zu können. Jede Person muss ihr Recht, selbst darüber bestimmen zu können, wer welche Informationen über sie selbst erhebt und weltweit öffentlich macht, auch gegenüber einem Weltkonzern geltend machen können. Niemand muss Widerspruch einlegen, aber jeder soll es können.

BF: Gab es denn diese Widerspruchsmöglichkeit schon immer?

AR: Nein, dafür haben die Datenschutzaufsichtsbehörden kämpfen müssen. Die abstrakten datenschutzrechtlichen Vorgaben zur Möglichkeit eines Widerspruchs mussten gegen Google so durchgesetzt werden, dass Google den betroffenen Personen ein Verfahren anbietet, in dem sie leicht und einfach ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung mit relevanten Folgen durchsetzen können.

BF: Wenn ich bemerke, dass mein Haus bei Google Street View zu finden ist: An wen kann ich mich wenden, um Widerspruch einzulegen?

AR: Jede Person, der ein aufgenommenes Haus gehört oder die das Haus oder eine Wohnung gemietet hat, kann der Veröffentlichung von Abbildungen des privaten Grundstücks unter Nennung der Anschrift (Straße, Hausnummer, Postleitzahl, Ort, ggf. nähere Beschreibung des Objekts) widersprechen. Der Widerspruch ist direkt an Google zu richten. Die Adresse lautet: [email protected]. Google wird dann die Hausfront verpixeln.

BF: Ist es für Google mit Konsequenzen verbunden, falls das Unternehmen der Aufforderung nicht nachkommt?

AR: In diesem Fall sollte sich die betroffene Person an den Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit wenden und dort eine Beschwerde gegen Google einlegen. Dieser wird dafür sorgen, dass ein berechtigter Widerspruch auch befolgt wird.

BF: Darf jedes Unternehmen einfach Fotos vom öffentlichen Raum machen und ins Netz stellen? Oder gibt es spezielle Regelungen für Google?

AR: Nein, auch für Google gelten die allgemeinen Regeln: Nach der Datenschutz-Grundverordnung gibt es zwei Erlaubnistatbestände für die Verarbeitung und Veröffentlichung der Bilder und der Metadaten: Die betroffene Person muss eingewilligt haben oder Google muss sich auf überwiegende berechtigte Interessen berufen können. Google verfolgt ein berechtigtes Geschäftsinteresse, für das die Aufnahme und Veröffentlichung der Straßenfronten erforderlich ist. Nicht erforderlich ist jedoch die Aufnahme von Menschen oder Autos. Daher muss Google Gesichter und Kfz-Kennzeichen schon vor der Veröffentlichung der Bilder verpixeln, ohne dass hierfür Anträge erforderlich sind. Solange die betroffenen Personen nicht widersprechen, darf Google davon ausgehen, dass seine Geschäftsinteressen deren schutzwürdige Interessen überwiegen. Das kann Google aber nicht mehr, wenn die betroffenen Personen durch einen Widerspruch deutlich machen, dass sie sich in ihren Grundrechten beeinträchtigt sehen. Dann muss Google diese Daten löschen oder ihren Personenbezug durch Verpixeln aufheben.

BF: Wäre nicht von vornherein eine Einwilligung der Betroffenen für diese Foto-Aufnahmen nötig, ähnlich wie bei der so genannten Cookie-Abfrage der Online-Dienste?

AR: Dies würde der informationellen Selbstbestimmung besser entsprechen. Aber von allen betroffenen Personen eine Einwilligung einzuholen, ist schwierig bis unmöglich. Anders als bei Cookies besteht keine Kommunikationssituation zwischen dem Verantwortlichen und der betroffenen Person, in der er sie um eine Einwilligung bitten könnte. Für solche Fälle sieht die Datenschutz-Grundverordnung die Erlaubnis vor, Daten auf der Grundlage eines überwiegenden berechtigten Interesses verarbeiten zu können.

BF: Nach Informationen des Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, der für Google in Deutschland zuständig ist, gab es seit Juni 2023 bzw. dem Upload der neuen Bilder nur etwa 100.000 Widersprüche. Worauf führen Sie das zurück?

AR: Viele nehmen Google Street View nicht wahr. Viele erkennen die damit verbundenen Risiken nicht. Viele sind über die einfache Möglichkeit, dieser Datenverarbeitung zu widersprechen, nicht informiert oder kennen die Adresse nicht, an die der Widerspruch zu richten ist. Und viele, die es wissen, raffen sich nicht auf, den Widerspruch dann auch einzulegen. Die bewusste Entscheidung, sich nicht gegen die Aufnahmen und die Darstellungen des eigenen Hauses oder der eigenen Wohnung zu wehren, ist auch Ausdruck der informationellen Selbstbestimmung.

BF: Herr Professor Roßnagel, ich danke Ihnen herzlich für dieses Gespräch.

[PP Pressemitteilung]

Letzte Aktualisierung am 18.04.2024 / Bilder von der Amazon Product Advertising API / Affiliate Links, vielen Dank für eure Unterstützung!




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