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Internet-Regulierungswut in der EU: Sind wir eigentlich verrückt geworden? (Kommentar)

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Die EU-Urheberrechtsreform hat in den vergangenen Monaten für sehr große Diskussionen gesorgt und ist die derzeit umfangreichste Regulierung des Internets. Aber auch an anderen Stellen hat sich das Internet sowohl für Nutzer als auch für Unternehmen in der EU stark verändert bzw. wird sich noch verändern. Die Ansätze sind in allen Fällen lobenswert, die Umsetzung jeweils mangelhaft. Doch nach vielen Themen in der jüngeren Vergangenheit muss man sich fragen, ob „wir“ eigentlich verrückt geworden sind.


Was waren das vor kurzer Zeit noch für schöne Zeiten im Web? Man sucht sich seine Plattformen und digitalen Heimaten, interagiert dort mit der Community, bekommt Informationen, diskutiert und fühlt sich einfach wohl. Doch für EU-Bürger wird das bald nicht mehr so leicht möglich sein. Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein, aber eine Überregulierung schadet sehr viel mehr als es nützt. Doch genau auf diese steuern wir gerade zu. Mit „wir“ meine ich an dieser Stelle einfach mal alle EU-Bürger, die trotz viel Proteste einfach nicht gegen die Gesetzgeber ankommen und mit den Folgen leben müssen.

Man muss es einfach mal sagen, wie es ist: Im Internet haben EU-Unternehmen nicht viel zu melden. Die Europäer nutzen vorwiegend die Dienste und Plattformen amerikanischer Unternehmen, wobei vor allem Google und Facebook, aber auch Amazon und Microsoft genannt werden müssen. Das liegt hauptsächlich daran, dass hierzulande keine echten Alternativen existieren, die auch nur annähernd den gleichen Standard bieten können. Immer wieder ist von den „bösen US-Konzernen“ die Rede, aber warum gibt es denn keine europäischen Alternativen? Die Frage muss erst einmal beantwortet werden.

Viele Reformen und Gesetze der jüngsten Zeit sollen das Neuland Internet regulieren und vermeintlich zu einem bessern und sicheren Ort machen. Hinter vorgehaltener Hand soll aber vor allem den bösen Konzernen das Handwerk gelegt werden, die mit unseren Daten viel Geld verdienen. Der Ansatz ist verständlich und auch notwendig, doch an der Umsetzung kränkelt es bei jeder einzelnen Reform und jedem Verfahren. Schlussendlich haben wir die Situation, dass es jetzt erst recht keine europäischen Unternehmen mehr geben wird, die es mit der globalen Konkurrenz aufnehmen können.

Dieser Artikel könnte wahrscheinlich auch ein Buch werden, aber ich halte es mal kurz, denn zu vielen Themen wurde schon genug geschrieben und natürlich hat auch jeder Nutzer zu vielen Themen eine ganz eigene Sichtweise.



EU-Urheberrechtsreform
Das Dauerthema der letzten Monate, zu dem auch hier im Blog schon sehr viel geschrieben wurde. Die Reform ist nun beschlossen und sorgt mit den beiden dominierenden Themen Uploadfilter und Leistungsschutzrecht für Chaos. Beides hat sehr gut Ansätze und ist mit Sicherheit notwendig, doch die schlussendlichen Rahmenbedingungen, nach denen die Staaten dies nun in geltende Gesetze umwandeln müssen, sind eine Katastrophe. Beide Themen sind nicht nur kaum umsetzbar, sondern zerstören jegliche Freiheit und befördern das europäische Internet zurück in die Web 1.0-Zeit – vor dem „Mitmachweb“. Siehe dazu auch den Artikel 3 Internets?.

» Viele Informationen rund um die EU-Urheberrechtsreform

Uploadfilter
Mit den Uploadfiltern, dessen Umsetzung vollkommen unklar ist, wird nicht nur die Netzkultur in Europa massiv geschädigt, sondern auch Start-Ups im Web wird das Leben schwer gemacht. Maximal die ersten drei Jahre sind sie geschützt, danach muss gefiltert werden. Aber das ist weder umsetzbar noch, wenn es möglich wäre, irgendwie bezahlbar. Selbst Googles Filter versagen, was sehr schnell zu hohen Lizenzkosten führen kann. Ausländische Unternehmen können ihre Dienste einfach für EU-Nutzer sperren, innerhalb der EU hingegen sollte man am besten gar nicht erst mit der Unternehmensgründung beginnen. Ohne Plattformen können Urheber ihre Werke aber nicht verbreiten – also haben wir schlussendlich genau das Gegenteil erreicht.

Leistungsschutzrecht
Das Leistungsschutzrecht hat schon in Deutschland und Spanien nicht funktioniert, also führt man es einfach mal EU-weit ein und schaut, was passiert. Die Online-Angebote möchten also bei Google und anderen Suchmaschinen / Aggregatoren gelistet sein, Nutzerströme gewinnen und dann dafür auch noch Geld BEKOMMEN? Am Beispiel Google News wird der Wahnsinn deutlich: Google verdient kein Geld mit den News, liefert unfassbare Mengen an Traffic (den die Verlage monetarisieren) und soll nun noch dafür bezahlen, für die Inhalte werben zu dürfen. Andersherum wird ein Schuh daraus und so ist es kein Wunder, dass Google sich quer stellt und nicht bezahlen wird.

Doch es geht ja nicht nur um Google, sondern um alle Plattformen. Darf man sich in Zukunft überhaupt noch trauen, einen Link zu setzen? Sobald die Überschrift angegeben wird, würden schon Lizenzgebühren fällig – das Gleiche gilt für das Vorschaubild. Während Google den Verlagen mit Rauswurf drohen könnte, ist das für kleine Plattformen nicht möglich. Ergo: Sie sperren zu und wir haben wieder einen gesamten europäischen Geschäftszweig erfolgreich gekillt. Schon jetzt hat die VG Media eine Milliarden-Euro-Rechnung an Google geschickt. Abschreckender geht es kaum noch.

Datenschutzgrundverordnung
Die DSGVO ist im Kern ein sehr gutes Gesetz, um das uns Europäer der Rest der Welt tatsächlich beneidet – was nicht ganz so häufig vorkommt. Eigentlich ist an der Verordnung nichts auszusetzen, doch seitdem ist es praktisch nicht mehr möglich im Web zu surfen, ohne auf unzähligen Seiten mindestens zwei Datenschutz- und Cookie-Meldungen wegzuklicken. Ich behaupte einfach mal, dass 99 Prozent der Nutzer von ihrem Recht auf Cookie-Verweigerung keinen Gebrauch machen. Gut, das hat rechtlich seine Gründe, aber für diese Klickorgie muss eine andere Lösung gefunden werden – vielleicht auf Browserebene. Da es aber derzeit nur in der EU gilt, wird das wohl so schnell nicht passieren.



Google-Wettbewerbsverfahren
In den letzten drei Jahren gab es jeweils ein EU-Urteil gegen Google und es mussten bereits für Verfehlungen bei der Produktsuche, bei Android sowie dem Werbeprogramm Milliarden gezahlt werden. Allesamt haben sie einen wahren Kern, haben aber nicht zum erwünschten Ziel geführt, denn bei keiner einzigen Änderung bzw. Nacharbeitung hat sich die Wettbewerbssituation gebessert. Noch immer sind viele Google-Produkte in die Websuche integriert, wird Android mit allen vorinstallierten Apps ausgeliefert und das Werbeverfahren war einfach „blödsinn“. Warum sollten anderen Werbeanbieter in der eigenen Suchmaschine zugelassen werden? Das lässt sich kaum erklären.

» Die nächste wahnsinnige Idee: EU-Kommissarin will Google-Produkte verbieten & alle Daten freigeben

Browserweichen
Das Android-Verfahren hat in dieser Woche nun wieder zu etwas geführt, das eigentlich der Vergangenheit angehören sollte: Eine Browserweiche in Android und im Play Store sowie ein Suchmaschinen-Wechsel im Chrome-Browser. So etwas gab es in den grauen Windows-Zeiten, doch den meisten Smartphone-Nutzern sollte man es wohl zutrauen, einen alternativen Browser herunterzuladen. Wer das nicht kann, dürfte ohnehin kein großes Interesse daran haben, eine Alternative auszuprobieren.

Natürlich müssen Alternativen nutzbar sein, das soll auch dringend gefordert werden – aber das war ja ohnehin auch vorher schon möglich. Gerade in Zeiten von App Stores ist die Suche und der Wechsel solcher Apps sehr einfach – sehr viel einfacher als in den Windows-Dominanz-Zeiten. Diese Weiche grenzt schon daran, dem Nutzer jegliche Kompetenz abzusprechen, aber dennoch muss sie nun erst einmal umgesetzt werden.


Und zum Schluss nochmal die Frage: Sind „wir“ eigentlich verrückt geworden?

Hinweis: Dieser Artikel ist ein Kommentar und enthält nur meine persönliche Meinung. Jeder hat andere Ansichten, es muss sich also niemand angegriffen fühlen. Vielleicht ist auch einfach nur der Autor verrückt geworden 😉


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