Die Stimmung droht zu kippen: Scheitert Google heute an den eigenen Ansprüchen? (Kommentar)

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Viele Google-Produkte erfreuen sich sehr großer Beliebtheit und sind entweder Marktführer in ihrem Bereich oder spielen zumindest ganz vorne bei der Musik mit. Diesen Erfolg hat sich das Unternehmen über viele Jahre und durch eine starke Orientierung am Nutzer hart erarbeitet, doch das gilt nur noch für die „alten“ Produkte des Unternehmens. Viele Produkte aus der jüngsten Vergangenheit scheitern oftmals an den eigenen Ansprüchen, die offenbar viel zu hochgeschraubt sind. Und das wird langsam aber sicher zu einem großen Problem für das Unternehmen.


Google war lange Jahre vom eigenen Erfolg verwöhnt, denn alles was die Entwickler aus Mountain View angefasst haben, wurde zu Gold. Die Websuche als Grundlage des Unternehmens hatte das Web im Sturm erobert, viele Webdienste waren Vorreiter in ihren Kategorien und haben entsprechende Marktanteile erreicht. Und selbst mit dem ersten Betriebssystem Android hat man einen Volltreffer gelandet. Die Erfolge halten zwar an, aber die Ursprünge liegen weit in der Vergangenheit.

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Websuche, GMail, Google Maps, YouTube, Android, Chrome, Google Drive, das gesamte Werbeprogramm und einiges mehr – das sind die Produkte der AAA-Kategorie im Unternehmen, die jeweils den Markt dominieren oder sehr hohe Anteile erreichen. Bis auf die Websuche wurden alle im ersten Jahrzehnt der 2000er Jahre gelauncht und konnten die Nutzermassen von Beginn an begeistern. In 9 Monaten geht tatsächlich schon das zweite Jahrzehnt des noch jungen Jahrtausends zu Ende, aber welches Google-Produkt (für Endnutzer) wurde gestartet und ist heute tatsächlich relevant? Da muss man lange überlegen. Den Google Assistant würde ich einfach mal als verlängerten Arm der Websuche bezeichnen.

Es ist nicht so, dass Google nicht genügend neue Produkte auf den Markt bringt, um das zu ändern, aber sie scheitern schon recht früh an den viel zu hohen Ansprüchen, die man mittlerweile an sich selbst stellt. Das ist auf die A-Riege der Produkte zurückzuführen, die teilweise neunstellige Nutzerzahlen aufweisen und wohl die Messlatte für alles neue bilden. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass sie teilweise Vorreiter waren und sich ohne große Konkurrenz ihre Märkte erschaffen und darin ausbreiten konnten.

Die Produkte waren nicht unbedingt die ersten in ihrer Kategorie, aber sie waren jeweils das Apple ihrer Branche. Das Beste zusammensuchen, in ein attraktives Paket schnüren und die neuen Technologien oder Konzepte marktreif machen. Das hat immer wieder funktioniert und legte den Grundstein für das gesamte Unternehmen. Aber dieses Rezept lässt sich heute nicht mehr umsetzen, denn irgendwann ist eine Grenze erreicht.



Ich habe schon vor einigen Tagen davon geschrieben, dass Google die alten Werte vermissen lässt und stattdessen finanzielle Interessen in den Vordergrund stellt. Das ist für ein Unternehmen vollkommen verständlich, gerade für ein börsennotiertes, aber früher ging das auch anders. Es kann nicht natürlich nicht sein, dass neue Produkte mit großem Aufwand gestartet werden und dann subventioniert werden müssen – das muss es ja auch gar nicht – aber dann müssen die Strategen eben mal richtig planen und VORHER Kosten/Nutzen abwägen und nicht erst nach dem ersten Launch.

An Googles Messenger-Karussell ist sehr gut zu sehen, was die hohen Ansprüche des Unternehmens mit der gesamten Abteilung machen. In den letzten Jahren kann man inklusive Ableger mindestens 10 Messenger aufzählen, die gestartet und später wieder eingestellt worden sind. Und das nur deswegen, weil nicht direkt Hunderte Millionen Nutzer aufspringen und in Scharen von WhatsApp oder Facebook Messenger wechseln. Aber müssen sie das denn? Kann man nicht auch mal einen Messenger mit 10 Millionen Nutzer betreiben und auf organisches Wachstum im Laufe der Zeit hoffen? Die aktuelle Strategie ist für die Nutzer frustrierend – und für die Entwickler sicherlich ebenfalls.

Google+ ist ein weiteres Beispiel, bei dem man zwar sehr lange durchgehalten hat, aber es eigentlich schon nach zwei Jahren aufgegeben hat. Der Anspruch wird es gewesen sein, an Facebook vorbeizuziehen und das Zuckerberg-Netzwerk mit dem verhängnisvollen Turbo zu zerstören. Das ging nach hinten los und die Plattform hatte in ihrer Hochphase nur etwa über 100 Millionen Nutzer – ist das wirklich zu wenig? Und wenn ja, glaubt man nun wirklich, dass es mit einem neuen Anlauf besser werden kann?

Fiebern Nutzer heute wirklich noch einem neuen Google-Produkt entgegen, so wie man es früher getan hat? Nein, schon lange nicht mehr. Heute weint man noch einige Tränen über jeden Verlust, sucht sich dann aber Alternativen außerhalb des bunten Netzwerks. Erst vor wenigen Tagen hat sich Google auch mit Künstlern angelegt und nimmt ihnen schon sehr bald den Play Music Artist Hub weg. Stattdessen sollen sie sich nun an große Unternehmen wenden, über die es nur noch in den Katalog gehen kann. Hatte nicht Google eigentlich immer die Rolle, dem kleinen Nutzer die Macht zu geben? Das Gegenteil ist mittlerweile der Fall.

Natürlich entscheidet jedes Unternehmen selbst über seine Produkte und als Nutzer muss man nehmen was es gibt oder zur Konkurrenz wechseln. Vollkommen normal, so funktioniert die Marktwirtschaft. Die Nutzer aber erst einmal anfixen, zu den Produkten zu locken und sie dann fallen zu lassen, ist dann aber eine gute Idee. Wenn ich mir heute ein brandneues Auto kaufe und schon nächstes Jahr keine Ersatzteile mehr dafür bekomme, werde ich die Marke wohl in Zukunft meiden. Und da kann man Parallelen zu Google ziehen.



Man darf nicht vergessen, dass wir hier von einem der größten Unternehmen der Welt mit mittlerweile 100.000 Mitarbeitern reden, das einen Jahresumsatz jenseits von 100 Milliarden Dollar einfährt. Was interessiert da die Meinung des einzelnen Nutzers oder einer etwas größeren Gemeinschaft? Die Antwort bekamen gerade erst wieder die vielen Google+ Nutzer. Aber die Nutzer werden das – und viele andere Dinge – nicht vergessen und die Produkte des Unternehmens zukünftig soweit es geht meiden. Und da wird es für Google gefährlich. Denn ohne Nutzer, die die Werbung sehen und ihre Profile weiter vertiefen, kann kein Geld verdient werden. Wird vielleicht deswegen nun die Werbung zu weiteren Produkten gebracht und nun auch Google Maps gemolken?

Bei jedem neuen Google-Produkt liest man aktuell praktisch überall nur noch Kommentare und Meinungen von Nutzern, die deren Einstellung heraufbeschwören – und das ist eine sehr gefährliche Stimmung. Besonders gut war das bei der Vorstellung der neuen Spieleplattform Stadia zu sehen, die zwar technisch und vom Konzept wirklich 1A ist, aber vom Start weg mit einem Vertrauensproblem kämpft – und das zumindest aus Sicht der noch jungen Spieleabteilung völlig unbegründet. Aus Sicht der Nutzer aber sehr begründet. Warum jetzt viel Geld für den Aufbau eines Spielekatalogs investieren, wenn es in zwei Jahren schon wieder Offline geht?

Googles Management sollte diese Stimmung hoffentlich sehr schnell erkennen, die längst kein deutsches oder europäisches Phänomen ist, sondern auch in sehr vielen anderen Ländern und Sprachen nachvollzogen werden kann. Seid einfach auch mal zufrieden, wenn Stadia nicht gleich vom Start weg Steam und die Konsorten platt macht. Lasst den nächsten gestarteten Messenger Online und entwickelt ihn weiter. Überzeugt die Nutzer mit innovativen Features und beginnt nicht schon wieder im Kopf ein neues Projekt. Nur so kann man irgendwann aus dieser Spirale entkommen.

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comment 7 Kommentare zum Thema "Die Stimmung droht zu kippen: Scheitert Google heute an den eigenen Ansprüchen? (Kommentar)"

  • Den Artikel finde ich gut geschrieben. Aber, beim Thema Android sehe ich das etwas anders. Ich glaube, Android wurde nur so groß, weil Apple Geräte absurd teuer waren und die Mitbewerber gepennt haben. Als Android auf den Markt kam, war ich noch überzeugter Blackberry Nutzer, hatte 5-6 Geräte hintereinander. Das Unternehmen RIM pennte einfach bzw nahm den App Store nicht ernst genug, sonst wäre es sicher anders verlaufen. Die ersten Android Geräte kosteten nur die Hälfte eines iPhones und waren auch abseits einer Apple-ID zu bedienen, was für viele noch eine zusätzliche Hürde sein dürfte, mal abgesehen vom damaligen iTunes Zwang.
    Wäre RIM damals klüger gewesen und iPhones hätten keine 500 Euro und mehr gekostet, Android hätte den Weg nicht gemacht, den es dann beschritten hat. Ich höre heute eher Gemecker und Gemotze, kenne kaum einen, der mit seinem Android Gerät happy ist. Scheinbar ist das ganze wie eine Art Hassliebe. Man kann nicht zwingend miteinander, aber leider auch nicht ohne einander. Ich nutze übrigens ein iPhone, das sagt aber nichts über mich aus, hatte auch schon mehrere Android Geräte.

    • So gesehen kann man immer sagen, dass wenn die Konkurrenz besser gewesen wäre, eine Marke heute wahrscheinlich eine schlechtere Stellung hätte 😉

      Dass bei Android-Smartphones oft eine Hassliebe besteht, würde ich nun nicht sagen 😛 Ich bin selbst Android Nutzer (habe früher aber auch div. iPhones gehabt und bin nach wie vor begeisterter MacBook Nutzer) und kenne auch viele Andere die vollkommen zufrieden mit Googles OS sind. Android und iOS geben sich nicht wirklich viel; es ist hauptsächlich eine Frage des Geschmacks und je nach Zielgruppe auch des Preises. Weder Hard- noch Software ist bei dem einen oder anderen merklich besser.

  • Zum Beitrag an sich: Viele Aussagen kann ich nachvollziehen, allerdings nicht alle. Bspw.: „Aber die Nutzer werden das – und viele andere Dinge – nicht vergessen und die Produkte des Unternehmens zukünftig soweit es geht meiden.“ – Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand aufgrund der Einstellung von Google+ oder Allo nun nicht mehr die Suche, Google Maps, Gmail oder YouTube nutzt. Ein Großteil der Otto-Normal-Nutzer wussten wahrscheinlich nicht einmal wirklich von diesen Diensten^^ Bei neuen Produkten hat man – sofern man den Markt im Überblick hat – aber sicher etwas mehr Vorbehalte, als es ohne diese Fälle gewesen wären.

    Mich persönlich stört die Einstellung von Google+ nicht. Soziale Netzwerke wie Facebook haben heute m. E. nicht mehr die Bedeutung, wie noch vor 5 Jahren. Heute wird mehr über Messenger kommuniziert, zudem ist die Privatsphäre hierbei mehr geschützt.

    Was mich tatsächlich etwas ärgert und auch traurig macht ist, dass es Google nicht hinbekommt, einen eigenen Messenger-Dienst langfristig zu unterhalten. Stattdessen schickt man 3 verschiedene Dienste gleichzeitig ins Rennen und setzt dabei zum Teil auch noch auf einen unverbreiteten RCS Standard. Einfach unverständlich, als hätte sich niemand darüber Gedenken gemacht.

  • Ich muss dem Autor (leider) absolut Recht geben. Als ehemaliger großer Fan von Google+ (welches man fast überall zum einloggen nutzen konnte) und die gute Integration von Google Hangouts überall (auch z.b. in Drive etc.) bin ich ziemlich entäuscht von Google…. Auch ein Beispiel währe übrigens Inbox 😉 ich weiß es war klar dass es beendet wird aber warum nicht einfach weiter laufen lassen?
    Und bei anderen Sachen wie YouTube Music finde ich zwar echt toll zusammen im Packet mit Google Play Music, hab ich allerdings nach kurzer Zeit gekündigt und zu Spotify gewechselt als ich fand dass Google Play Music kaum noch gepflegt wird…

    Offen gesagt kommt mir bei Google ziemlich vieles Halb-Herzig gemacht in letzter Zeit und habe Google Allo z.b. ziemlich schnell wieder deinstalliert und bei neuen Diensten von Google bin ich leider nicht mehr so begeistert wie ich es einst war da ich weiß sie während doch eh bald wieder eingestellt. Und bei Google Spieleplattform denke ich des gleiche, klingt zwar toll aber wird eh wieder eingestellt da doch lieber bei Steam bleiben…

  • Diesem Kommentar kann ich nur zustimmen.
    Aktuelles Thema für mich ist nach wie vor YT Music bzw. Google Play Music. Ich nutze diesen Dienst schon seit Anbeginn seines Starts und zahle demnach noch die 7,99€/Monat. Dies ist mein einziger Grund, noch dort zu bleiben, sonst hätte ich längst zu Spotify gewechselt. Mit der neuen YT Music App kann ich leider gar nichts mehr anfangen. Sie entwickelt sich in eine Richtung, die eher viel jüngere Kunden anlocken soll, es gibt keine 320kbps-Auflösung und der Entwicklungsfortschritt geht ermüdend langsam voran.

    Wirklich sehr schade das Ganze. Ich persönlich bin seit einiger Zeit immer mehr am überlegen… „brauche ich das alles wirklich“? Wieso sich so viel Stress machen und sich ärgern…. Google interessiert sich schon lange nicht mehr um den einzelnen… nur noch um die Masse. Aus diesem Grund kündige ich immer mehr Google Dienste und wechsle zu Alternativen.

    Der neue Support ist übrigens auch eine Katastrophe… hatte diesen schon dreimal in Anspruch genommen und jedesmal wurde ich bitter Enttäuscht, Lösungen wurden nie gefunden…

    Wenn das also so weitergeht… heißt es ade… peu à peu!

  • Google ist nicht beständig.
    Ich nutze nur noch die Suche und GoogleMail und ab und zu YouTube. Als mobiles Betriebssystem verwende ich Android (aber ohne Verknüpfung mit einem Google-Account). Andere Google-Produkte nutze ich schon langen icht mehr. Google hat mich mit der ständigen Unbeständigkeit bitter enttäuscht!

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