Fuchsia: Mit Vollgas und Handbremse – Chrome OS und Android sind die großen Hürden des Betriebssystems

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Die Entwicklung von Fuchsia geht mit immer größeren Schritten voran und dürfte kurz davor stehen, einen großen Meilenstein zu nehmen – nämlich die öffentliche Präsentation der gesamten Plattform. Interessanterweise stehen dabei weniger die Neuerungen des Betriebssystems im Mittelpunkt, sondern viel mehr dessen Platzierung. Aber auch die Nachfrage nach der Notwendigkeit steht im Raum, denn mittelfristig schafft sich Google damit mehr Probleme als Vorteile.


Wir beobachten die Entwicklung von Fuchsia nun schon das ganze Jahr lang und haben dabei sehr viele Details zum neuen Betriebssystem vorgestellt, das viele alte Zöpfe abschneidet und mit neuen Konzepten punktet. Wirklich neu sind die meisten davon zwar nicht, etwa der modulare Aufbau oder auch die ständige Online-Anbindung, aber in einem Google-Betriebssystem für die Masse doch ein Novum. Und genau darin liegt vielleicht auch ein Problem.

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In den letzten zwei Wochen hat sich gezeigt, dass Fuchsia wohl in die erste Testphase übergegangen ist und nun wohl bereit für den nächsten großen Sprung ist. Das Betriebssystem wurde aus der Testumgebung und den Labors der Entwickler entlassen und wird sowohl von Huawei bereits getestet als auch Mitgliedern der Bluetooth-Gruppe vorgestellt und dort ausführlich auf Herz und Nieren getestet. Vor einigen Monaten wäre das noch undenkbar gewesen.

Aber auch die Entwicklungsabteilung scheint sich geöffnet zu haben, denn mittlerweile arbeiten selbst die Entwickler von Android an Fuchsia und haben eine erste Kompatibilität im Java-Modul hergestellt. Nach der langen Phase der Programmierung im stillen Kämmerlein werden nun also Brücken geschlagen und die Türen für andere Projekte geöffnet. Dabei fragt sich allerdings, warum eine Kompatibilität zu denn anderen Betriebssystem unbedingt notwendig ist.

Die komplette Motivation hinter Fuchsia dürfte es gewesen sein, auf alte Korsetts zu verzichten und noch einmal etwas völlig neues zu beginnen – und wohl auch Geschwindigkeit hereinzubringen. Während Betriebssysteme früher nur alle paar Jahre aktualisiert wurden, bekommen die meisten heute monatliche oder quartalsweise Updates und sind längst dynamischer geworden. Mit Fuchsia wird das auf die Spitze getrieben.



Fuchsia setzt ganz klar auf das Web, auf Web-Apps, auf eine ständige Online-Anbindung und auch auf eine sehr starke Synchronisierung in allen Bereichen. Man muss aber sagen, dass das auch mit Android oder Chrome OS möglich gewesen wäre und beide etablierten Plattformen ebenfalls auf solche Lösungen setzen. Warum Google nun einen kompletten Neustart wagen muss, ist bei längerem Nachdenken kaum nachvollziehbar.

Überlegen wir einmal, was für große Änderungen Fuchia mitbringt und welches Pendant dazu es bereits in den beiden anderen Plattformen gibt:

Wie man sieht, bringt Fuchsia eigentlich zum Zeitpunkt des Erscheinens kaum noch etwas neues, das Google nicht bereits durch andere Projekte auf die anderen Plattformen gebracht hat. Es fragt sich also, ob dieser komplette Neustart tatsächlich notwendig gewesen ist bzw. notwendig sein wird. Und an diesem Punkt kommen wir zu der interessanten Frage, wie Fuchsia am Markt platziert wird.

Zuerst dürfte Fuchsia als dritte Plattform neben Android und Chrome OS platziert werden. Doch ist es für Google wirklich sinnvoll, gleich drei Betriebssysteme pflegen zu müssen? Eine weitere Variante wäre, dass Fuchsia sowohl Android als auch Chrome OS ersetzt, was aber ein extremes Risiko für das Unternehmen wäre. Was, wenn die Nutzer das nicht annehmen? Riskiert man tatsächlich die so enorm wichtige Dominanz auf dem mobilen Markt und die Marktführerschaft von Chrome?

Sowohl EIN als auch DREI Betriebssysteme scheinen nicht der richtige Weg zu sein, denn zwei Plattformen haben sich bisher als goldrichtig erwiesen. Und die zwanghafte Zusammenlegung von Mobil und Desktop (und mittlerweile auch Wearables und IoT-Geräte) sind eben aufgrund der völlig unterschiedlichen Konzepte nicht immer möglich bzw. nicht sinnvoll. Doch eine dritte Marke, die den beiden etablierten Konkurrenz macht, scheint ebenso nicht zielführend.



Aber auch aus einer anderen Sicht scheint der Neustart nur wenig sinnvoll: Erst werden alle alten Konzepte über Bord geworfen und eine Plattform von Grundauf neu konzipiert und entwickelt, nur um sich dann in der Endphase wieder für die „alten“ Betriebssysteme zu öffnen. Die Ausführung von Android- und dank Flutter sogar iOS-Apps sind mit Sicherheit ein Pluspunkt, aber gleichzeitig auch eine Bremse. Diese Apps können die Vorteile von Fuchsia nicht nutzen, womit sich für die Nutzer wieder die Sinnfrage stellt, das Betriebssystem wechseln zu sollen.

Der seit Jahren anhaltende und von Google stark geförderte Boom der Web-Apps kommt für Fuchsia zum richtigen Zeitpunkt, aber dann sollte man auch nur daran festhalten und die Kompatibilitäten zu Android und iOS wieder herauswerfen – auch wenn es für alle Seiten schmerzhaft ist. Bleibt man dabei, hätte man auch einfach nur Android und/oder Chrome OS in eine solche Richtung weiter entwickeln können. Jetzt sieht es aber so aus, dass man zwei Schritte vorwärts und einen Zurück gemacht hat.

Natürlich sind diese Überlegungen nur meine persönliche Meinung, die vielleicht mancher ganz anders sieht. Wie es schlussendlich um Fuchsia steht, dürften wir wohl im Mai 2019 zur kommenden Entwicklerkonferenz Google I/O erfahren. Zumindest weisen die öffentlichen Tests darauf hin, dass Fuchsia bereit für den ersten Schwung interessierter Entwickler ist.

Siehe auch
» Fuchsia: Googles kommendes Betriebssystem wurde ersten externen Testern bereits vorgeführt
» Fuchsia als Android-Nachfolger: Huawei testet Googles neues Betriebssystem auf einem Android-Smartphone
» Googles Allround-Betriebssystem Fuchsia: Wie geht es mit Android und Chrome OS weiter?
» Alle Artikel rund um Fuchsia




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comment 5 Kommentare zum Thema "Fuchsia: Mit Vollgas und Handbremse – Chrome OS und Android sind die großen Hürden des Betriebssystems"

  • Ich denke hier geht es vor Allem darum von der aus der Sicht von Google zu freien Lizenz des Linux Kernel weg zu kommen. Fuchsia ist zwar auch Open Source hat aber weniger Pflichten, z. B. Muss nicht alles was darauf aufbaut auch den Quellcode veröffentlichen.

  • Fuchsia war für mich schon immer eher eine Art Konzeptstudie, um auch neue Sachen auszuprobieren und so unter anderem Android und Chrome OS neuen Rückenwind zu verschaffen, was die technische Seite angeht. Daran ist ja auch erstmal nichts verkehrt, der Markt ist da auch mittlerweile festgefahren und kann auch bei der Software neue Impulse aktuell gut gebrauchen. Was mir aber mehr Gedanken macht, sind die technischen Aspekte der ganzen Arbeit.

    Im Blog hattet ihr immer mal wieder Flutter und die dahinter stehende Programmiersprache Dart als „Geheimwaffe“ von Google stilisiert. Ich bin jetzt mal etwas gemein und drehe den Spieß ein wenig um: Dart und Flutter sind letztlich nichts Anderes als ein weiterer Ansatz zur hybriden Entwicklung für mehrere Systeme. Mit sowas ist der Massenmarkt mittlerweile dicht, nur mit dem Unterschied, dass bei Ansätzen wie Qt (C++), Xamarin (.NET bzw. C#) oder React Native und ähnlichen Plattformen (JavaScript, TypeScript) bereits etablierte und verbreitete Sprachen am Werk sind. Frage: Wie verbreitet ist Dart an sich außerhalb von Google (eine gewisse Grundpopularität streitet niemand ab) und wie überlebenswichtig ist Flutter für Dart an sich? Das frage ich mich ja auch bei den Entwicklertools. Im Bereich der Codeeditoren gibt es offizielle Extensions für Visual Studio Code, die sehr gut gepflegt werden. Es gibt auch Plugins für Android Studio. Warum Google die Plugins für Dart und Flutter nicht offiziell mit seiner eigenen (!) IDE bündelt und das Dart SDK samt Flutter gleich mit ausliefert, frage ich mich bis heute, einfacher kanns Google eigentlich nicht machen. Außerdem frage ich mich, ob es nicht Sinn gemacht hätte, Dart und Flutter mit dem zugkräftigen Angular zu verbinden. Ich bin darin jetzt kein absoluter Experte, aber ich weiss, dass es mit NativeScript von Telerik ein Framework für mobile Anwendungen gibt, dass zusammen mit Angular genutzt werden kann. Es gibt ja nun auch AngularDart und Angular selber wurde als JavaScript-/TypeScript-Framework ja auch von Google angestoßen. Unterm Strich kommt mir das so vor, als ob Google einen eigentlich starken Hebel aus dem eigenen Arsenal einfach nicht nutzen möchte, obwohl es das mit Angular sehr wohl hätte tun können.

    Gleiches kann ich bei den Progressive Web Apps sagen. Dass die Integration und Implementierung bei Google wesentlich besser und gelungener ist als bei Microsoft in Windows 10, darüber brauchen wir nicht diskutieren, das ist schlichtweg Fakt. Trotzdem frage ich mich, inwieweit Google hier mit WebAssembly plant und welche Auswirkungen das auf die PWA-Entwicklung haben wird. Microsoft hat dafür Pläne, denn innerhalb von ASP.NET gibt es ein entsprechendes Framework mit Blazor, was dafür in Entwicklung ist. Mozilla kann das mit der eigenen Sprache Rust auch schon länger. Wenn ich jetzt auf Google schaue (und mal wieder den Kreis zu Dart und Flutter schließe), dann habe ich nach Recherche durchaus gesehen, dass bei Dart und Flutter (anscheinend) auch daran gearbeitet wurde. Nur: Der große Bruder Go kann das schon lange und Go ist (gefühlt) im Gegensatz zu Dart wesentlich besser in der Industrie verankert und wird auch immer populärer. Jetzt nenne mir mal einen treffenden Grund, warum ich auch hier Dart/Flutter beachten sollte, wenn ich auch hier entweder mit teils schon etablierten Sprachen arbeiten könnte oder mir sogar Google selber mit Go eine attraktive Ausweichmöglichkeit bietet, die ohne Frage eine verbreitete Akzeptanz genießt. Das wird schwer.

    tl;dr
    Das, was ich hier jetzt zu Dart und Flutter gesagt habe, kann ich im Grunde auch auf Fuchsia übertragen. Es ist immer gut, neue Konzepte zu testen und zu schauen, ob sie funktionieren könnten. Die Frage ist nur, ob sie gerade bei Android oder Chrome OS ein Problem lösen würden, was wirklich existiert. Google arbeitet ohne Zweifel sehr intensiv an Chrome OS und auch bei Android gibt es intensive Arbeiten am Linux-Kernel oder mit Projekten wie Project Treble wichtige Ansätze. Außerdem muss man bei Google mit sowas immer sehr vorsichtig sein. Ich geb dir gerne ein paar Beispiele, die nahe am Consumer sind und wo man das gut sieht. Google wollte die Mail mit Inbox neu aufrollen. Was passiert damit heute? Google hat damals für Google+ richtig die Werbetrommel gerührt und es seinen Nutzern quasi aufs Auge gedrückt. Was passiert damit in einigen Monaten? Google wollte mit YouTube Gaming Twitch in die ewigen Jagdgründe schicken. Was ist davon noch übrig? Ganz zu schweigen von anderen dutzenden Ideen etwa beim Thema Messenger und anderen Konsorten.

    Fuchsia ist sicherlich eine ganz andere Ecke und hat mit dem Consumer erstmal nichts zu tun. Dennoch soll es den Consumer als Betriebssystem (wahrscheinlich) irgendwann erreichen. Wer garantiert mir denn als Kunde, der ein Gerät mit Fuchsia kaufen will, dass Google hier nicht doch wieder einen Rückzieher macht und sich auf seine beiden etablierten Vertreter konzentriert, genau wie bei YouTube oder Gmail als Beispiel? Der Punkt ist, dass ich Google in einem Punkt absolut mit Microsoft vergleichen kann: Beide sind in den Randbereichen und etwas weiter nahe ihrem Kern unheimlich freudig, was Streichkonzerte angeht, und sowohl als Entwickler als auch als normale Consumer ist man bei beiden (aktuell) sehr gut beraten, sich erstmal wirklich auf die etablierten Kernservices zu konzentrieren und bei allem anderen abwarten und Tee zu trinken. Dass Google ein Produkt wie YouTube, Gmail, Chrome oder die Suche einstellt, ist genauso unwahrscheinlich, wie dass Microsoft der Xbox oder Office gute Nacht sagt. Dabei sollte man es dann erstmal auch bewenden lassen.

  • Vielleicht dient Fuchsia auch nur zum Wechsel von der GPL zur Bad-Lizenz. Die GPL zwingt Google die Veränderungen am Linux Kernel als open-source zur Verfügung zu stellen…

  • Google hat keinen Bock mehr, sich mit Oracle und deren Java-Lizensierung herumzuärgern.

    Deshalb wird das Grund-System umgestellt, der Rest läuft halt in einer VM bis auch da die Entwickler nachgezogen haben. Jolla machte es vor, und auch die Chromebooks werden den Google Android Play Store samt Diensten ähnlich behandeln. Oder?

  • Meiner Meinung ist Fuchsia nur ein neuer Unterbau für Chrome OS und Android mit einem stabilen Treiber- Interface, um endlich vernünftige Update-Möglichkeiten bieten zu können. Linux ist aufgrund der Änderungen der Treiberschnittstellen immer auf die Mitarbeit der Chiphersteller angewiesen, leider hat die Erfahrung gezeigt, dass die es nicht tun. Wenn Google dabei langfristig auch von Java wegkommt – großartig.

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